Was hat der Storch den Heiligbergler*innen gebracht?
Ein Merkmal professioneller Pädagogik ist, wenn entsprechende Fachleute die Sache selber zum Ziel führen, statt auf den grossen Moment zu warten. So überlassen Lehrpersonen die Lage selten dem Unvorhergesehenen. Lieber den Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach.
Der scheinbare Zufall kann in bestimmten, seltenen Augenblicken aber die wirksamere Pädagogik sein, als möglicherweise eine, nach neusten erziehungswissenschaftlichen Erkenntnissen, durchgetaktete Lektion unter Einbezug modernster Medientechnik. Einen solchen Moment erleben die Schüler*innen in der zweiten Septemberwoche im oder eher um das zentral gelegenen Schulhaus Heiligberg in Winterthur. Weiss der Geier von woher die 22 Störche auf dem Schulhausdach an diesem Mittwochmorgen angeflogen sind, welche von den Jugendlichen, dem Lehrpersonal und dem Hausdienst am Morgen früh mit grosser Verwunderung wahrgenommen werden. Die Vögel stehen teils auf einem Bein in beinahe regelmässigen Abständen zuoberst auf den langen Firstkanten, der Coronazeit entsprechend, wie fast schon vom Bundesrat angeordnet oder wie von einem bildenden Künstler bewusst so inszeniert und schauen dabei erhaben wirkend auf die Innenstadt und die nähere Region von Winterthur. Beim Versuch, den Abstand von Storch zu Storch auf der Firstlinie zu deuten, hilft die Beobachtung, wie einzelne Vögel einen oder beide Flügel kurz spannen ohne den Nachbarn zu berühren oder gar zu behindern. Das Schauspiel dauert den halben Morgen. Fast genau mit dem zehnten Glockenschlag der nahegelegenen Stadtkirche fliegt die Schar davon Richtung Süden. Zu umtriebig ist den Vögeln auf dem Dach wohl das Geschehen der Jugendlichen in der grossen Pause auf dem Boden ums Schulhaus herum geworden. Oder ist es eher die auftreibende Luft des sich erwärmenden Daches, das die Tiere wieder abheben lässt? Wohin wird deren Reise wohl gehen? Nach Spanien auf die Kastanien? Und was haben die Störche den Heiligbergler*innen gebracht? Ein besonderes, dazu in dieser Art auch exklusives und eindrückliches, ja gar berührendes Erlebnis mitten im Schulalltag, ungeplant aber mit Nachwirkung. Letztere ist auch ein wichtiges Merkmal für gute Pädagogik. Toni Gassmann